Es begann vor über 90 Jahren in Kalifornien. Lewis Terman, Psychologe an der Stanford University, befand sich 1921 auf der Suche nach begabten Kindern und bat Lehrer, die intelligentesten Schüler auszuwählen. Das Ziel seiner Untersuchung war, die Ursachen intellektueller Begabung zu entschlüsseln und frühe Anzeichen für ein hohes intellektuelles Potential zu erkennen.

Insgesamt kamen 1528 Jungen und Mädchen zusammen, die um 1910 geboren wurden. Über acht Jahrzehnte befragten Terman und nach seinem Tod weitere Forscher in regelmäßigen Abständen die Teilnehmer detailliert zu verschiedenen Lebensbereichen. Das Ergebnis der Datenflut wurde nun von den beiden Psychologen Howard Friedmann und seiner Kolleging Leslie Martin in dem Buch „Die Long-Life Formel. Die wahren Gründe für ein langes und glückliches Leben“ veröffentlicht. Dabei sind sich die Autoren sicher, dass ihre Erkenntnisse auch auf heutige Generationen übertragbar sind. Doch worum geht es bei der Studie im Einzelnen?

Moderne Mythen

Bereits in der Einleitung provozieren die Autoren, indem sie mit einigen Mythen aufräumen, die heute das Thema Gesundheit prägen: „Die üblichen Ratschläge für eine verbesserte Gesundheit (…) sind für manche Menschen lebensrettend, aber für viele sind sie weder sinnvoll noch gewinnbringend.“ Auch in Bezug auf Stressvermeidung geben sich Friedman und Martin wenig zurückhaltend: Gängige Tipps, die vor zu großen Belastungen im Arbeitsalltag warnen, werden als Mythos abgetan. Gleichzeitig weisen sie darauf hin, dass ihre Erkenntnisse und Ratschläge nicht automatisch zu einem langen und gesunden Leben führen. Wer nach 90 Jahren auf ein erfülltes Leben zurückblickt, kann einfach Glück gehabt oder eine Reihe von Faktoren richtig gemacht haben. Eine Garantie für das Erreichen eines hohen Alters gibt es nicht.

In 15 Kapiteln erläutern die Wissenschaftler, welche Erkenntnisse sie aus der Studie gewinnen konnten. „Als Schlüssel zum Erfolg für unsere Arbeit über Gesundheit und langes Leben erwies sich, dass wir die Sterbeurkunden von den Teilnehmern (…) sammelten.“ Neben diesen harten Fakten, nutzten sie aktuelle Studien sowie statistische Test und verglichen diese mit den Terman-Daten. Aber nicht nur die bahnbrechenden Erkenntnisse machen das Buch zu einer einzigartigen Lektüre. Mit zahlreichen Fragebögen bewaffnet, kann sich der Leser selbst ein Bild von seiner psychischen und gesundheitlichen Situation verschaffen. Wer wissen möchte, wie es um die individuelle Soziabilität oder neurotische Ader bestellt ist, sollte sich Zeit für die Selbsteinschätzung nehmen und seine Ergebnisse mit der Beurteilung von Freunden oder Verwandten abgleichen.

Scheidung schadet Männern

Besonders Themen wie Sport, soziales Leben, der Geschlechterunterschied (inklusive Ehe und Partnerschaft) und Berufsleben stechen in der Studie heraus. So führt eine Ehe nicht automatisch zu einem längeren Leben: „Wenn man große westliche Bevölkerungen untersucht und die Lebenserwartung (…) vergleicht, stellt man fest, dass Verheiratete länger leben“, so die Wissenschaftler. Entscheidend ist allerdings, wie die Ehe geführt wird. Ist man glücklich verheiratet? Wie schätzt man den Umgang mit dem Partner ein? Welchen gemeinsamen Interessen geht man nach? Klar ist, dass Ehepartner gegenseitig aufeinander achtgeben und im Krankheitsfall füreinander sorgen, womit sich die Lebenserwartung erhöhen kann. Dennoch bedeutet eine Eheschließung nicht, dass verheiratete Menschen länger leben. Vielmehr erreichen verheiratete Männer aufgrund einer Eheschließung ein höheres Alter. Und als ob das nicht genug ist, kommt ein weiteres messbares Ergebnis hinzu. Da extreme Belastungen und Lebenseinschnitte Menschen einem hohen Stresswert aussetzen, steigt das Krankheitsrisiko. Die Konsequenz hieraus bedeutet: „Als das belastendste Ereignis gilt allgemein der Tod des Ehe- oder Lebenspartners, aber die Scheidung folgt kurz danach.“

Nach Gruppe aufgeschlüsselt, lebten die Männer am längsten, die eine lebenslange stabile Ehe führten. Männer, die einmal geschieden waren und eine stabile zweite Ehe führten, erreichten im Vergleich zur ersten Gruppe eine geringere Lebenserwartung. Das kürzeste Leben hatten im Durchschnitt geschiedene Männer, da sie einen ungesünderen Lebensstil führten und der Rückhalt einer Ehefrau wegfiel. Im Gegensatz dazu, gab es bei den teilnehmenden Frauen keine signifikanten Abweichungen. „Eine Scheidung war für die Gesundheit der Frauen sehr viel weniger schädlich als für die der Männer“, so Friedman und Martin.

Sport ist kein Garant für ein langes Leben

In Bezug auf die Wirkung von sportlicher Aktivität auf das Alter der Studienteilnehmer, förderten die Wissenschaftler um Friedman und Martin ebenfalls erstaunliches zu Tage. Sie berechneten das sogenannte metabolische Äquivalent (MET) für die mehr als 1500 Teilnehmer und sammelten dafür fast 10 Millionen Daten. Das Ergebnis dieser Vergleichsanalyse zeigt, dass der allgemeine Rat, Sport verlängere das Leben, ebenfalls ein Mythos ist.

Da die Studien-Teilnehmer unterschiedliche Aktivitäten pflegten, besaßen sie auch sehr verschiedenen Fitness-Levels in den einzelnen Lebensabschnitten. Grundsätzlich ließ aber die sportliche Aktivität bei den meisten Teilnehmern ab dem 60. Lebensjahr nach. Für die Autoren steht fest, dass allgemeine Empfehlungen zu sportlichen Aktivitäten keinen Sinn machen: „Das Fitnessniveau ist anscheinend persönlicher determiniert, als es das Mantra ‚Sport ist gut für Sie‘ glauben macht.“ Die Konsequenz lautet für sie: „Die allgemeine Empfehlung, tüchtig Sport zu treiben, muss abgeändert und auf die jeweilige Person zugeschnitten werden.“

Erfolgreiche leben länger

Mit der Überschrift „Die Negativfolgen von Stress werden oft übertrieben“ geben die Wissenschaftler in Kapitel 10 die Richtung vor: „Es gibt keinerlei Beweise, dass Menschen, die den Ratschlägen zur Entspannung befolgen, gesünder werden.“ Noch pointierter ausgedrückt, weisen Friedman und Martin daraufhin, dass es nirgendwo einen Nachweis dafür gibt, dass tägliche Herausforderungen im Berufsleben das Immunsystem angreifen oder Herzerkrankungen eher bei Menschen auftreten, die von der Arbeit stark beansprucht werden. Hier ist es allerdings wichtig, zwischen schweren, chronischen Stressreaktionen und „normalem“ Stress zu unterschieden. So können massive Stresseinwirkungen, etwa in Form von Mobbing oder eine Überbeanspruchung gleichwohl zu einem erhöhten Krankheitsrisiko beitragen. Der normale Arbeitsalltag mit kurzfristigem Stresssituationen, verhalf bei den Studienteilnehmern dagegen zu einer Stärkung der natürlichen Abwehr und steigerte langfristig die Zufriedenheit.

Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Vergleichstest sprechen eine eindeutige Sprache: „Diejenigen, die den größten Berufserfolg hatten, starben am seltensten früh. Vielmehr lebten die Erfolgreichsten im Durchschnitt fünf Jahre länger als die Erfolglosesten!“ Beeindruckend ist außerdem die Tatsache, dass Männer, die Terman in seiner Studie vor einem halben Jahrhundert als erfolgreich einstufte, zu jedem Zeitpunkt danach am wenigsten vom Tod bedroht waren.

Friedman und Martin sehen den Hauptgrund für ein längeres Leben nicht allein darin begründet, dass Erfolgreiche mehr Geld und damit besseren Zugang zu medizinischen Möglichkeiten haben. Natürlich sind Menschen in Armut einer Menge signifikanter Gesundheitsrisiken ausgesetzt. Doch viele der Terman-Teilnehmer waren auf einem ähnlichen Niveau berufstätig. Unter ihnen befanden sich Anwälte, Ingenieure, Ärzte, Professoren und Lehrer. Andere arbeiteten als Banker, Buchhalter, Werbefachleute und leitende Angestellte. Gleichzeitig gab es aber auch auffallend erfolglose, die eine vergleichbare intellektuelle Begabung besaßen. Abstriche macht die Studie in erster Linie bei Frauen, da sie zur Zeit der Studienerhebung nur begrenzte Berufsaussichten und bis in die 1970er Jahre häufig keinen Zugang zu den genannten Berufsfeldern hatten.

Gewissenhaftigkeit und Diszipliniertheit

Des Pudels Kern erscheint dabei offensichtlich und doch versteckt: „Gewissenhaftigkeit und Diszipliniertheit sind (…) eine starke Vorhersagevariable für ein langes Leben, und es stellte sich heraus, dass die beruflich erfolgreichen Terman-Teilnehmer in der Tat disziplinierter waren als ihre Peers.“ Menschen, die ehrgeizig sind, leben häufig einen disziplinierteren Lebensstil. Für die erfolgreichen Teilnehmer bedeutete ihre Arbeit nicht vermeidbarer Stress, sondern ein wertvolles Gut. Stress am Arbeitsplatz wird von der Studie vor allem als Arbeitsherausforderung definiert, wohingegen schädlicher Stress in erster Linie durch Konflikte mit anderen Leuten entsteht. „Die Tyrannei eines Chefs kann ebenso zu Gesundheitsproblemen führen wie eine schlechte Beziehung zu den Arbeitskollegen“, erläutern die Psychologen. Wer hingegen mit seiner Arbeit zufrieden war, und das über die gesamte Spanne des Berufslebens, erreichte am Ende auch eine höhere Lebenserwartung.

Dabei ließ bereits der Motivationsgrad in der Kindheit Rückschlüsse auf den später zu erwartenden Erfolg und damit auf die Lebenserwartung zu: „Terman-Teilnehmer, die erfolglos waren und bereits in der Kindheit als vergleichsweise gering motiviert bewertet wurden, hatten ein höheres Sterblichkeitsrisiko als erfolgreiche Teilnehmer.“ Trotz der einseitigen Betrachtung auf Männer, die sich aus den genannten Gründen speisen, weisen die Autoren auf ein analoges Bild für Frauen hin. Einzelfälle von teilnehmenden Frauen, die wie die Journalistin Shelley Smith Mydans auf eine erfolgreiche Karriere zurückblickten, erreichten ein hohes Alter. Mydans starb, trotz Gefangenschaft im Zweiten Weltkrieg und harten beruflichen Herausforderungen, im Alter von 86 Jahren.

Fünf Konsequenzen

Terman starb 1956 im Alter von 79 Jahren. Er arbeitete bis zu seinem Lebensende an der Studie und legte damit den Grundstein für die folgenden Wissenschaftsgenerationen. Inwieweit die Ergebnisse das Publikum bei ihren Lebensentscheidungen beeinflusst bleibt abzuwarten. Das Autorenteam um Friedman und Martin verweist im Epilog dennoch auf einige grundlegende Erkenntnisse:

1. Die üblichen Empfehlungen und Richtlinien zur Gesundheit sind oftmals fehlgeleitet. Wie lange ein Leben andauert hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, die sich nicht auf einige Tipps wie gesunde Ernährung, Sport oder Ruhephasen herunterbrechen lassen.

2. Die Gesundheit und Lebensdauer der Kinder von den Eltern abzuleiten, ist wenig zielführend. Zwar gibt es erblich bedingte Krankheiten, die behandelt werden müssen. Doch ob man deshalb etwa einen Herzinfarkt erleidet, ist nicht präzise Prognostizierbar.

3. Sportliche Aktivitäten, Ernährungsgewohnheiten oder persönliches Stressempfinden variieren sehr stark. Jeder muss für sich einen eigenen Weg finden mit dem er zufrieden leben kann. Wer Sport treiben möchte, sollte sich eine Sportart aussuchen bei der Spaß hat und die ihn Befriedigt.

4. Menschen, die zufrieden im Job sind, also in einem angenehmen Arbeitsumfeld arbeiten und dazu motiviert werden, angemessene Leistungen zu erzielen, leben länger. Leitende Angestellte sollten ihren Mitarbeitern nur Aufgaben anvertrauen, die sie mit ihren Möglichkeiten auch leisten können. Im Umkehrschluss müssen Angestellte ihre Kollegen und Vorgesetzten darauf hinweisen, wenn sie eine Aufgabe langfristig überfordert oder Probleme beim sozialen Umgang entstehen.

5. Schließlich ergaben die Untersuchungen, dass beruflich aktive Menschen auch im Alter länger Fit sind. Gleichwohl lassen sich diese Erkenntnisse nicht einfach übertragen und ein gesunder Mix aus beruflicher Anspannung sowie Erholungsphasen ist entscheidend. Nur wer sich einerseits beruflich ausgelastet fühlt und andererseits entspannen kann ist mit sich zufrieden.

Howard Friedman/Leslie Martin: Die Long-Life Formel. Die wahren Gründe für ein langes Leben, Beltz, 320 Seiten, 19,95 Euro.

Der Artikel wurde am 17. März 2012 auf COMPUTERWOCHE.de publiziert.

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